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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 02.06.2009


Du brauchst es - Das Algemarin Duschgel als Phallus
Claire Horst

Sexismus in der Werbung – nur scheinbar ein alter Hut. Seit der Einrichtung des Deutschen Werberates im Jahr 1972 können Verstöße gegen "Sitte, Anstand und Moral" gemeldet werden. Die jährliche...




... Zahl der Meldungen zeigt: Diskriminierende Werbung wird von vielen Menschen abgelehnt.

Und dennoch ändert sich bei einigen Unternehmen gar nichts. 264 Beschwerden gingen im Jahr 2008 beim Deutschen Werberat ein, 42 Prozent dieser Meldungen richteten sich gegen frauenfeindliche Werbung.

Auf manchen Bussen der BVG ist derzeit eine Anzeige zu sehen, bei der sich die Frage stellt, was in den Köpfen der WerberInnen vor sich geht. Die Firma Böttger GmbH, Herstellerin des Duschgels Aquamarin, wirbt auf dem Hinterteil der Busse mit dem Hinterteil einer Frau, im Stringtanga und mit dem Tattoo eines Seepferdchens geschmückt. Neben dem einladend vorgereckten Po steht eine aufgerichtete Packung Duschgel – nicht nur PsychoanalytikerInnen assoziieren hier einen Phallus.

© Christina Böder


Eigentlich könnte man sich darüber amüsieren, mit welch idiotischen Mitteln hier versucht wird, Produkte an die Frau zu bringen. "Sex sells", das wissen die WerberInnen natürlich. Trotzdem ist es erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit hier der weibliche Körper zum Objekt gemacht wird. Welche Botschaft soll den Käuferinnen vermittelt werden? Zu deinem Glück fehlt dir noch der Phallus von Aquamarin?

Die BVG reagierte auf eine Beschwerde mit der Bemerkung, die Kampagne verstoße nicht gegen die guten Sitten und sei daher nicht zu beanstanden. Noch irrwitziger ist die Reaktion der Firma Böttger. In einem peinlichen Versuch zur Rechtfertigung teilt sie mit, an der Produktion der Kosmetika und der Werbekampagne seien auch Frauen beteiligt gewesen. Diesen sei nichts aufgefallen. Mit der Beteiligung von Frauen an sexistischen Kampagnen werden diese allerdings um nichts besser.

Zum anderen verachte man keine Frauen, ganz im Gegenteil: "Wir beschäftigen uns den ganzen Tag mit den Bedürfnissen und Wünschen von Frauen, weil Frauen unsere Hauptzielgruppe darstellen." Hier stellt man sich paternalistisch als Wohltäter dar, dem es nur darin geht, Frauen zu beglücken. Anscheinend bestehen die "Bedürfnisse und Wünsche von Frauen" darin, auf dem Weg zur Arbeit von nackten weiblichen Körperteilen umgeben zu werden. Vielleicht verdient die Firma Böttger Dankbarkeit für ihre Bemühungen um die Bedürfnisse der Frauen?

Erschreckend daran ist nicht die Existenz frauenfeindlicher Werbung. Erschreckend ist die Selbstgerechtigkeit, mit der jede Kritik abgelehnt wird. Die Firma Böttger ist nicht die einzige, für die das gilt: Im Jahr 2006 sprach der Werberat Rügen gegen sechs Unternehmen aus, die sich weigerten, die kritisierte Werbung zu verändern. Darunter war zum Beispiel die Kette A& O Hostels. Auf einer Werbepostkarte zeigte sie den Unterkörper einer Frau im Bikini. In der Höhe des Schambereichs war sie mit "24 h open" beschriftet, der Begleittext lautete "Sexy Preise".

In letzter Zeit lassen sich vermehrt derartige Kampagnen beobachten: Die Biermarke Astra wirbt mit dem Foto einer Frau mit riesigen Brüsten, Überschrift "Da wurde doch was gemacht" (Hintergrund ist das neue Design der Marke), oder auch der Darstellung eines kleinwüchsigen Mannes an einer Kneipentheke, Aufschrift: "Ein Bier und ein Kurzer". Verachtet werden in solchen Darstellungen nicht nur Frauen. Auch andere gesellschaftliche Gruppen wie Behinderte oder MigrantInnen werden lächerlich gemacht.

Dieser Rückschritt ist schade. Kampagnen wie die von Dove haben eindeutig gezeigt, dass sich Produkte auch mit einem realistischen Frauenbild verkaufen lassen – das Verkaufsargument zählt also nicht. Da zwischen Werbung und gesellschaftlichen Einstellungen eine Wechselwirkung besteht – in der Werbung zeigen sich Denkweisen der Bevölkerung, und zugleich formt sie diese mit – ist der Widerstand gegen herabwürdigende Darstellungen wichtig.

Link zum Deutschen Werberat: www.werberat.de

Weiterlesen:

Ulrike Kohlweiß: Frauen in der Werbung: Realismus vs. Idealismus: Wie sieht sich die Zielgruppe lieber. ISBN: 978-3836402347

Erving Goffman: Geschlecht und Werbung. ISBN: 978-3518110850

Christina Holtz-Bacha (Herausgeberin): Stereotype?: Frauen und Männer in der Werbung. ISBN: 978-3531156958


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Beitrag vom 02.06.2009

Claire Horst